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Über die Freundschaft

Gerade habe ich auf Netflix die Serie „Immer für dich da“ (im Original heißt sie „Firefly Lane“, ist auch als Buch erhältlich) gesehen. Dort geht es um die lebenslange Freundschaft zweier Frauen, die sich in den 70er Jahren irgendwo in den USA in einem kleinen Ort in der Firefly Lane kennengelernt haben und miteinander durch alle Höhen und Tiefen des Lebens gegangen sind: Männer, Job, Träume, Mütter, Väter, Brüder, Kinder, Liebeskummer, Streit miteinander und die Liebe zueinander, alles, was man sich vorstellen kann.

Ich mochte die Serie (sie hat nur zwei Staffeln, kann man also wunderbar Binge-watchen) und war beim Zusehen ein bisschen melancholisch. Nicht, weil die beiden miteinander ein solches Drama kreiert haben, das brauche ich nicht (Drama ist so gar nicht meins). Sondern weil sie zueinander gehalten haben, komme, was mag. Ich hatte nie eine solche Freundin. Ich hatte als Kind ein paar Freundinnen, Dörte und Ulrike und Nicola fallen mir sofort ein. Aber wir wurden größer, kamen auf unterschiedliche weiterführende Schulen und dann brach der Kontakt ab. Wenn man heranwächst, ist das einfach so, da passiert gefühlt stündlich etwas Neues, wenn man da nicht – wie in der Serie – gegenüber voneinander wohnt, verlieren sich die Kontakte schnell.

Naja, bei mir kam halt hinzu, dass ich mich damit schwer tue, neue Kontakte zu knüpfen. Ich bin nämlich wirklich schüchtern in der Hinsicht, war mein Leben lang voller Unsicherheiten und habe mich oft nicht getraut, auf jemanden zuzugehen.

Und so kommt es, dass ich nicht viele langjährige Freundinnen und Freunde habe. Bei manchen war es einfach so, dass wir unterschiedliche Wege im Leben gegangen sind und wir uns einfach auseinander gelebt haben. Bei anderen kam ein Bruch, als ich aufgehört habe, mich schlecht behandeln zu lassen. M. zum Beispiel brach einen Streit vom Zaun, als ich eine neue Ausbildung anfing und mich auf unsicheren Füßen auf neue, unbekannte und sehr gewagte Wege gemacht habe. Sie hat mich dann während dieses Streites verletzt um des Verletzens Willen. Zugegeben, unsere „Freundschaft“ hat sich schon länger nicht mehr richtig angefühlt, genau genommen war ich erstaunt, dass sie so lange gehalten hat (immerhin mehr als 10 Jahre!), weil wir wirklich sehr unterschiedliche Menschen sind. Aber das war dann der Punkt, an dem ich beschlossen habe, das Ganze zu beenden.

Jedenfalls kann ich die Menschen, die ich seit mehr als 30 Jahren kenne, an einer Hand abzählen.

Ich bin auch keine von den Freundinnen, die täglich telefonieren muss, um jede Kleinigkeit des Tages zu erzählen. Ich melde mich oftmals über mehrere Wochen, manchmal Monate nicht – nicht, weil mir die Menschen nichts bedeuten, sondern weil ich einfach denke, dass es nichts Erzählenswertes gibt. Und ich freue mich dann immer, wenn wir uns dann wieder sehen, miteinander telefonieren oder WhatsAppen, dass ich etwas aus dem Leben dieser Menschen hören darf und aus meinem erzählen. Oder wir treffen uns endlich mal wieder, trinken gemeinsam Kaffee oder gehen Essen oder spazieren – es ist egal, diese Begegnungen schätze ich sehr und gehe immer sehr beschenkt wieder nach Hause.

Neulich hatte ich einen solchen wundervollen Nachmittag. Ich war in meiner Geburtstadt bei Marion zu Besuch, wir kennen uns seit den frühen 90er Jahren und haben uns immer begleitet. Es gab Jahre in unserer Freundschaft, da haben wir nur zum Geburtstag und Weihnachten telefoniert – und es war wirklich bei jedem Telefonat genau so, als ob keine Zeit dazwischen vergangen ist. Marion und ich sind grundsätzlich sehr unterschiedliche Menschen: sie liebt die Kontinuität (sie lebt seit mehr als 20 Jahren in demselben kleinen Hexenhäuschen, hat ihren Arbeitgeber erst einmal gewechselt – und das auch nur, weil der alte Arbeitgeber die Praxis (sie ist Arzthelferin) aufgegeben hat, sie lebt seit ihrer Geburt nicht nur in derselben Stadt, sondern auch in demselben Stadtviertel, ist sehr eng mit ihrer Familie und noch vieles mehr). Ich dagegen suche immer nach neuen Herausforderungen, bin nicht eng mit meiner Familie (erst seit dem Tode meines Vaters habe ich engeren Kontakt zu meinem Onkel und meiner Cousine), ich bin mehrmals in neue Städte umgezogen, ohne dort jemanden zu kennen, habe neue Jobs angenommen, mich mit Mitte 50 noch für ein nebenberufliches Masterstudium entschieden und mit Ende 50 einen sicheren Arbeitsplatz mit regelmäßigem Einkommen gegen eine Selbständigkeit in einem völlig neuen Bereich und einer völlig neuen Stadt entschieden. Inklusive aller damit verbundenen Unsicherheiten.

Und dennoch sind wir uns von Herzen verbunden. Oder gerade deswegen? Mittlerweile sind wir beide nicht mehr ganz taufrisch – ich werde nächstes Jahr 60, sie ist 3 Jahre jünger – und sind auf dem besten Weg, so etwas wie „altersweise“ zu werden. Altersweisheit äußert sich vor allem darin, dass wir immer öfter sagen: „Not my Circus, not my monkeys“. Wir haben einfach keine Lust mehr, unsere Energie in Sinnlosigkeiten zu investieren, dazu ist die Energie einfach zu kostbar. Ich mag ihre Sicht auf die Dinge, sie eröffnen mir neue Perspektiven, und ich fühle mich nicht verpflichtet, diese Sicht auch für mich zu übernehmen. Wir können uns einfach sein lassen mit allen Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Es ist einfach entspannt und schön und herzerwärmend zu wissen, dass Marion noch lange Zeit in meinem Leben bleiben wird.

Jedenfalls war ich vor einiger Zeit mal wieder bei ihr, wir haben einen wundervollen Nachmittag verbracht, viel gelacht, köstlichen Kuchen gegessen und uns unterhalten und sie hat mir etwas ganz unfassbar Schönes geschenkt: einen Buch-Adventskalender. Das ganze Jahr über hat sie sich Gedanken darüber gemacht, welche Titel zu mir passen könnten, was ich gerne lese, wo meine Vorlieben liegen und hat für jeden Tag der Adventszeit Bücher auf Flohmärkten, in Bücherkisten, öffentlichen Büchereien (solche Buchstelen gibt es in jeder größeren Stadt, da kann man selbst Bücher einstellen und andere daraus entnehmen. Es finden sich oftmals wahre Schätze dort. Schaut doch mal in eurer Stadt, wo es sowas gibt!) gesammelt, liebevoll verpackt und mir an jenem Novembersonntagnachmittag überreicht.

Ich habe noch nie in meinem Leben ein so schönes Geschenk bekommen, ehrlich.

Allein die Tatsache, dass sie sich eine solche Mühe gemacht hat, ist mit Gold nicht aufzuwiegen.

Es gibt noch andere Menschen, die ich schon lange kenne und schätze, zum Beispiel ehemalige Arbeitsfreunde und -freundinnen, die mittlerweile zu Freundinnen und Freunden im „echten“ Leben außerhalb desselben (mittlerweile ehemaligen) Arbeitgebers geworden sind. Auch mit diesen Menschen habe ich nicht wirklich regelmäßig Kontakt, aber wenn wir telefonieren oder uns sehen, tun wir das gerne und können uns über Stunden austauschen. Gerade heute habe ich mich mit einer lieben Arbeitsfreundin, die in den letzten 3 Jahren echt harte Zeiten hinter sich gebracht hat, ausgetauscht und wir treffen uns an 31. Dezember für ein Jahresabschlussbrunch und ich freue mich schon sehr auf unser Treffen. Es wird viel zu erzählen geben! Oder ich habe diese Woche über eine Stunde mit einem der warmherzigsten, witzigsten und verrücktesten aller SNOs (das ist ein Insider, den kann ich leider nicht näher ausführen – aber alle ehemaligen Kraniche, die das hier lesen, wissen, was gemeint ist 😉✈️☺️) telefoniert und es hat mich zum Lächeln gebracht. Oder Simone, die ich Anfang der 2000er Jahre bei unserem damaligen Arbeitgeber kennen gelernt habe. Wir mochten uns gleich, aber auch uns hat das Leben in unterschiedliche Richtungen geführt und für ein paar Jahre hatten wir gar keinen Kontakt – bis zu diesem Jahr. Ich sah auf Facebook einen Kommentar von ihr, habe ihr geschrieben – und es ist, als ob nie etwas gewesen ist. Wir können uns sein lassen, wir haben viel gelernt in den letzten Jahren und sind uns im Herzen sehr nah. Wir brauchen nur ein Stichwort, um für Stunden zu schwatzen und zu lachen und zu weinen und wir haben uns einfach gern – und zwar so, wie wir sind.

Freundschaft ist ein Geschenk, das niemals aufhört, zu geben. Echte Freundschaft übersteht die Stürme des Lebens, in die wir alle geraten. Sie ist ein wenig wie ein Möbelstück, welches man niemals weggibt: es kann sein, dass es ein wenig einstaubt, aber man nimmt es mit in jede neue Wohnung, in jeden Lebensabschnitt und staubt es immer wieder liebevoll ab. Von Zeit zu Zeit gönnt man ihm ein gutes Holzöl, es kann auch sein, dass man es mal neu anstreicht, aber es bleibt bei einem. Im Laufe der Jahre bekommt es Katzer und die Ecken werden abgestoßen, aber wir sehen immer noch die Schönheit, die uns dazu bewogen hat, es in unser Leben zu holen.

All den Menschen, die seit Jahrzehnten in meinem Leben sind, die mich und meine Art immer ausgehalten haben, die mir nicht böse sind, weil ich mich nicht so oft melde, die immer an mich geglaubt haben, auch und gerade dann, wenn ich es nicht selbst getan habe, all diese wundervollen, verrückten, einzigartigen, ganz besonderen Menschen möchte ich „Danke“ sagen.

Wie wäre es, wenn wir uns einfach mal wieder bei unseren Freunden melden? Wenn wir ihnen sagen, dass wir sie wertschätzen, dass wir an sie denken und dass wir sie lieb haben? Ich glaube, dass nicht nur die Weihnachtszeit dafür geeignet ist, sondern dass jeder Tag im Jahr der perfekte Tag dafür ist.

Ich muss noch darauf hinweisen, dass alle Links in diesem Post keine bezahlte Werbung sind und ich in keiner Weise mit den Anbietern oder Webseiten aus den Links in Verbindung stehe.

Dieser Beitrag wurde am 1. Dezember 2024 von Antje Prussait veröffentlicht.